Smalltalk ist wie Lakritze. Die einen lieben es, die anderen verabscheuen es! Ich hasse Lakritze, mag dafür aber Smalltalk mit Fremden umso mehr. Grundsätzlich muss ich gestehen, dass ich nur aus reiner Neugier davon angetan bin. Vielleicht füllt sich für mich damit eine Lücke in der Bildung, ich kann einen neuen Eindruck gewinnen oder es ergibt sich ein brauchbarer Kontakt. Eindeutig eine Berufskrankheit! Komischerweise beginne ich aber nie eine derartige Konversation, sondern werde darin eingebunden. Von „Wissen Sie, wie spät es ist?“ bis „Sie sehen aus wie meine Frau früher. Die hatte auch Sommersprossen!“ war so gut wie alles dabei. Aber dies sind doch genau die Situationen, die den Alltag spannender machen – oder etwa nicht?
Aus eigener Erfahrung heraus traue ich mich zu behaupten, dass ein Wartezimmer DER ORT für Smalltalk ist. Diese Hypothese wird mir oft bestätigt, so auch heute. Nach der Anmeldung bei der Sprechstundenhilfe und einem kurzen Blick ins Wartezimmer konnte ich mich innerlich schon auf eine verschwendete, halbe Ewigkeit meiner Lebenszeit freuen. Am ersten geöffneten Ordinationstag nach den Feiertagen auch kein Wunder. Also Augen zu und durch und auf einen der letzten beiden freien Plätze gesetzt. Keine fünf Minuten später kam ein älterer Mann in das Wartezimmer und setzte sich neben mich. Er war in meinen Augen der klassische „Opa-Typ“: Gekämmte, weiß-graue Haare, frisch rasiert, dunkelbrauner Pullunder über Karohemd in Kombi mit gebügelter Stoffhose und diesen Lederschuhen, die weder Schürsenkel noch Klettverschluss benötigen. Für das, das er in einem Wartezimmer saß und ältere Menschen dazu neigen, dort ausgiebig zu jammern, sah er wirklich zufrieden mit sich selbst aus. Und gerade als ich dachte, dass dieser Mann nicht vorhatte, mit mir zu reden, sagte er einfach diesen Satz:
„Wissen’s, meine Freundin hat heute Geburtstag!“*
Vielleicht mag es altmodisch klingen, aber ich finde das Wort „Freundin“ aus dem Mund eines mindestens 70-jährigen Mannes etwas unpassend. Denn die meisten Leute in seinem Alter würden „meine Frau“ oder ähnliches sagen, auch wenn sie nicht verheiratet sind. Aber darüber wirklich nachdenken konnte ich nicht mehr, denn offensichtlich hat er mit mir geredet. So, wie er mich anstarrte, erwartete er sich eine Antwort auf seine Aussage. Da mir nichts Besseres einfiel, meinte ich nur kurz:
„Oh schön, haben’s was geplant?“
Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen und irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass er selten mit jemanden reden kann. Anscheinend war ich eine willkommene Abwechslung in seinem Alltag.
„Ja, ich fahr sie heute besuchen. Dann geh ‚ma spazieren und einen Kuchen hab ich auch gemacht.“
Mich hätte es wirklich brennend interessiert, warum die beiden nicht zusammen wohnen und wo er hinfahren müsste. Ehrlich! Aber ich will niemand mir Fremden so persönliche Fragen stellen, also lächelte und nickte ich nur. Ich wusste, dass er unbedingt erzählen möchte und ich wurde auch nicht enttäuscht.
„Wissen’s, meine Freundin hat Alzheimer und erkennt mich net mehr. Trotzdem fahr ich jeden Tag zu ihr, weil ich’s gern hab!“
Auch wenn sich in mir innerlich alles zusammengezogen hat, er dürfte es nicht bemerkt haben, denn er redete weiter:
„Damals als meine Frau gestorben ist, hat mich das schon sehr mitgenommen. Wem dabei zuschauen, wie’s jeden Tag schlechter geht, ist schlimm. Bei meiner Freundin ist das wieder das Gleiche. Früher sind wir in die Oper, ins Theater…einfach alles hab’n wir zusammen gemacht.“
Irgendwie wusste ich auch nun nicht recht, wie man auf sowas passend antworten kann. Musste ich aber auch nicht, da die Sprechstundenhilfe meinen Sitznachbarn aufrief.
„Wissen’s, man wählt ja keinen Partner, weil’s a Gaude ist, sondern weil man wirklich wen gern hat.“
Und mit diesen Worten ließ er das Wartezimmer und auch mich zurück. Irgendwie war ich ziemlich unzufrieden, da ich gerne mehr gewusst hätte, gleichzeitig aber auch froh darüber, dass dieses Gespräch vorbei war.
Gegenüber begann ein kleines Mädchen auf den Schoß ihrer Mutter lauthals zu schreien. „Schwieriges Alter!“, meinte die Mutter in meine Richtung, als sie meinen Blick bemerkte.
Ich lächelte nur. Aus dem Alter kommt man anscheinend nie mehr heraus!
Melanie
(*Gedächtnisprotokoll und in abgeschwächter Form des steirischen Dialektes)